Wenn der winter kommt

 
Allerheiligen war vorüber. Über die Stoppelfelder Und die frische Saat glitt noch die warme Herbstsonne. Durch der Bäume kahle Äste stahlen sich ihre Strahlen auf die rostbraune Laubschicht auf dem Boden. - Wie war das herrlich und schön, solche Tage zu genießen, ehe man sich von der warmen Jahreszeit trennte. - Schon schaute man verstohlen zum Himmel empor, Wolken tauchten auf, helles Rot umsäumte den Horizont. Man blickte zum Thermometer, das Quecksilber sank, sank bedenklich. - In den Zimmern begann der Schwarze Freund seine behagliche Wärme auszuströmen, man hüllte sich in wärmere Gewänder.
 
Droben im Eispalast ging der Schneekönig grimmig einher. Es war bereits November, im Kalender stand Schnee und Kälte verzeichnet, aber noch immer war es ihm nicht gelungen, das Zepter an sich zu reißen, denn die Sonne spielte ihm einen argen Streich, sie schien und wärmte. Er mit seinen Gesellen harrte ungeduldig. Der Schneekönig stieg die spiegelblanke Eistreppe hinauf, um Ausschau zu halten, doch schnell zog er sich in sein kaltes Bereich zurück, die laue Temperatur war ihm zuwider. - "Mein muß die Herschaft werden," brummte er und überlegte, wie es zu machen sei. Er sandte den Raufrost auf die Erde. Dieser ging und streute weiße Nadeln auf Feld, Wiese, Strauch und Baum, so daß es auf Erden glitzerte, wie droben im Eispalast. Da erschien am Himmel die Sonne, mit ihren langen warmen Strahlen wischte sie all die Nadeln fort. - Wie war es warm den ganzen Tag, klar und sonnig. 
Grimmig saß der Schneekönig am großen Bogenfenster und blickte hinaus. "Nebel, geh hin!" gebot er, "hülle die ganze Erde ein, daß nicht ein einziger Sonnenstrahl zu ihr hernieder dringen kann." Es dauerte nicht lange, da ward es weiß und dunstig in der Luft, dicht, ganz dicht legte sich die weiße Schicht über die Erde. "Wie feucht die Luft ist," sagten die Menschen, und Wassertröpfchen setzten sich an die Harrspitzen ihrer Pelze, an die Gewänder. An den zweigen, an der grünen Saat hingen diese Perlchen. Allmählich ward die feuchte Temperatur empfindlich, all die Perlchen erstarrten zu Eis. Mittlerweile war es dunkel geworden, man sah nichts mehr. Aber am anderen Morgen hingen wieder lange weiße Nadeln an all den Zweigen, über Wald und Feld waren sie verstreut. Die Luft ward grau und schwer. - Am Nachmittag erst gelang es der Sonne, sich den Weg zur Erde zu bahnen, aber sie vermochte nicht mehr all die Nadeln fortzuwischen und die Erde zu erwärmen, es war schon Zeit, daß sie unterging. - Nun jubelte alles im Eispalast. Mit eiserner Hand begann jetzt der Frost seine Tätigkeit zu entfalten, die Teiche überzog er mit einer Decke, an die Fenster zauberte er Eisblumen. Die Decke auf den Teichen war fest und hart, sie konnte viele Menschen tragen und nun gab´s Leben, fröhliches Treiben auf den spiegelblanken Flächen. Fröhliche Gesichter rote Wangen leuchtende Augen sah man, es war ein vergnügen, den fröhlichen Schlittschuhläufern zuzusehen. 
Da aber machte sich etwas auf, es war der Sausewind. Lange schon hatte er ungeduldig auf den Befehl des Schneekönigs geharrt: Nun konnte er loslegen! Und wie ging er los! Die Menschen flohen in ihre Häuser. Er sauste und heulte in den Lüften, Scheiben klirrten, die nackten Zweige der Bäume schlugen aneinander, Baumkronen beugten sich, Zweige flogen zur Erde, - es war unheimlich. Jetzt begann ein Wirbeln und Wimmeln in der Luft, weiße Flöckchen tanzten kreuz und quer durcheinander, aus grauer Luft kamen sie und während sie hinabfielen, schwebten immer wieder neue an ihrer Stelle. Der Schneemann band seine Säcke auf und der Vorrat schein unerschöpflich.
Da jubelten und sangen die Kinder. "Der Winter ist da" und durch die Scheiben blickten sie hinaus in das fröhliche Gewimmel. Am folgenden Morgen lag eine blendend weiße Decke über die Erde ausgebreitet. Dicke weiße Massen hatten sich auf den Zweigen aufgetürmt und über die Landschaft zog ein stiller Frieden hin, das ist der Winterfrieden, wenn die Natur schlummert. Nun kamen Männer mit Schaufeln, Frauen mit Besen, durch die Stille klangen Glöckchen, Schlittenschellengeläute, und die Kinder holten vom Speicher ihre Schlitten herunter und hinaus ging´s in den frisch gefallenen Schnee.
 
©  Maria Bornemann Bigge  (Sauerland)

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